Aufbruch 1919 – 1932

Nach Ausbildung und bauplastischen Arbeiten zum Lebensunterhalt in Hannover finden bereits erste künstlerische Arbeiten internationale Anerkennung.

Friedrich Vordemberge-Gildewart vor der Galerie Povolozky, Paris, zu seiner ersten Einzelausstellung 1929
Quelle: Museum Wiesbaden, Archiv Friedrich Vordemberge-Gildewart

Aktivitäten

Ostern 1919 Beginn des Studiums der Innenarchitektur an der Kunstgewerbeschule Hannover. „Sofort erwachten … meine inneren Leidenschaften: ich begann zu bildhauern“. Ab 1922 selbstständige Mitarbeit für bauplastische Arbeiten im Privatatelier von Prof. Vierthaler. 

„Vorbereitet durch Tonmodelle und Skizzen begann er 1923 auch freie künstlerische Arbeiten. In neuem Selbstbewusstsein markierte er diesen Schritt, indem er seinem Namen den der Osnabrücker Altstadtstraße, an der sein Vaterhaus stand, anhängte“ (Helms 2017, S. 15). Das auch in Abgrenzung zu seinem gleichnamigen Vetter, der inzwischen eine klassische Ausbildung an der Düsseldorfer Kunstakademie aufgenommen hatte (und später nach der Nazi-Zeit zum angesehenen Leiter der Kölner Werkkunstschule wurde). 

Wesentlich beeinflußt wurde in dieser Zeit die Hannoveraner Kunstszene u.a. durch den russischen Konstruktivisten El Lissitzky, der in einem Atelier der Kestner-Gesellschaft arbeitete. Nach dessen plötzlicher, krankheitsbedingter Abreise Anfang 1924 konnte VG mit dem Maler Hans Nitschke das Atelier übernehmen. Beide gründeten im gleichen Jahr die „Gruppe K“ (K von Konstruktivismus), aus der 1927 die Gruppe „die abstrakten hannover“ hervorging. Im Mai erfolgte eine erste Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft, für die der ebenfalls in dieser Zeit in Hannover lebende Erich Maria Remarque das Vorwort im Katalog schrieb.

Quelle: Erich Maria Remarque-Friedenszentrum

Quelle: Erich Maria Remarque-Friedenszentrum

Erich Maria Remarque schrieb dazu:

“Der geklärte Niederschlag einer Zeit heißt Stil; er bestimmt die große Richtung der Kunst und des Kunsthandwerkes jeder Epoche. Die Inbrunst der Gotik schuf strebende Dome und das ragende Meisterwerk Grünewalds; die Lebensfreude der Renaissance prunkende Paläste und die glanzvolle Kunst der italienischen Maler. Wir leben im Zeitalter der Warenhäuser und Fabriken, der Hochöfen und Untergrundbahnen, der Riesenbahnhöfe und Expreßzüge, der Automobile und Flugzeuge. Die Kunst unserer Zeit ist streng und sachlich. Sie verschmäht das Beiwerk; Linie und Fläche geben Form und Ausdruck. Sie ist in der Gestaltung mathematisch herbe; aber dahinter fühlt man die sausende, dunkle Phantastik des Zeitalters der Maschinen und Motoren aufzucken. Daß die meisten Künstler nichts vom Stil unserer Zeit wissen, sondern nach ererbten Überlieferungen biederepigonenhaft Kunst fabrizieren, sagt nichts gegen die Kunst, aber alles gegen die Künstler unserer Zeit.

Die Ägypter und die frühen Griechen kannten die Mystik der Mathematik. Pythagoras schuf die Philosophie der Zahl – nicht der angewandten Zahl, die zum Zählen dient, sondern der absoluten Zahl, die den Raum bannt. Hinter den oberflächlichsten Dingen lauern die tiefsten Erkenntnisse; hinter der Zahl brodelt das Geheimnis des Begriffes: Raum. Kosmisches Räderwerk. Achse der Dinge. Magie des Raumes. Hier setzt die Kunst unserer Zeit ein. Ergriffen vom Raum, bannt und gestaltet sie ihn. Eine Diagonale ist ihr maßloses Gefühl, nicht Halbierung, wie dem Ober-Flächlichen. Sie kennt den klaren Kampf der Linien, die erschütternde Wucht der Flächen. Sie schafft nicht in den fruchtbaren Tälern der Gestaltung; auch nicht in ihren blühenden Ebenen; sie arbeitet am äußersten Rande, an der Grenze. Die Urgesetze werden ihr neu, sie erlebt die letzte Tiefe der Form, die Begriffe Linie und Fläche.

Diese Kunst ist mehr als abstrakte Raumaufteilung; denn sonst bewiese sie nur ein hübsches Gefühl für ästhetische Gruppierung. Sie will zur platonischen Idee der Dinge und zur Rhythmik des Raumes.

Die scheinbar nüchternen Werke gewinnen, je länger man sie anschaut. Man entdeckt immer mehr in ihnen, sie werden immer voller, persönlicher und lebendiger. Eine ungemeine Beschwingtheit liegt in ihrer präzisen Exaktheit. Sie lassen der Phantasie weitesten Spielraum, greifen nicht vor, drängen nichts auf; sie schwingen in sich selbst. Sie sind kristallinisch geschlossen und werfen das Gefühlsbild des Beschauers klar zurück; – ist es da besonders merkwürdig, wenn sie manchem nichts sagen?“

Quelle: Erich Maria Remarque-Friedenszentrum, Stadtbibliothek Osnabrück

Anschließend folgte eine weitere Ausstellung der Gruppe K zum Jahresende in Bad Harzburg. 

Wie breit sich das neue Kunstverständnis von VG entwickelt hatte, zeigt sich u.a. an der Einführungsrede, die VG 1925 zur Vorführung des in diesem Jahr als Höhepunkt des deutschen Experimental- und Animationsfilms geltenden „Der Absolute Film“ hielt. 

1927 folgte, gemeinsam mit Kurt Schwitters und Jan Tschichold die Gründung „ring neuer werbegestalter“ und mit Kurt Schwitters und Carl Buchheister die Gründung der Künstlergruppe „die abstrakten hannover“. 

Hatte VG sich Ansehen bisher durch die Teilnahme an Gruppenausstellungen erworben, so verschafften diese neuen Kontakte dem inzwischen 29 Jahre alten Künstler im Frühjahr 1929 seine erste Einzelausstellung; und das gleich im Zentrum der internationalen Kunstwelt, in Paris in der Galerie Povolozky.

1930 bezog VG eine neue Wohnung in der Lister Straße 24, „für dessen Fassade er Bauplastiken beigesteuert hatte“ (Helms 2017, S. 18) 

1932 Gründungsmitglied der Künstlergruppe „abstraction – création“ in Paris.

Privat folgte 1932 die Heirat Vordemberge-Gildewarts mit der Tänzerin Ilse Leda, die inzwischen ebenfalls ständiges Mitglied der Hannoveraner Kunstszene um Kurt Schwitters geworden war. 1929 hatte sie ihr Tanzdiplom bei Yvonne Georgi und Harald Kreutzberg erworben und anschließend eine eigene Tanz- und Gymnastikschule gegründet. 

Quelle: Museum Wiesbaden, Archiv Friedrich Vordemberge-Gildewart

Objekte/Gemälde

1919 bis 1923 mehr als 100 großenteils abstrakte Reliefs; im damaligen und vom Bombenkrieg weitgehend verschonten Neubaugebiet in Hannover (Südstadt, Mitte und Bult) schmücken sie heute noch die Mietwohnhäuser der Baugenossenschaften im typischen 20er-Jahre-Stil. Bewusste Anwendung der Farbe erst seit 1923. 

Quelle: Privat

Die ersten konstruktivistischen Bilder weisen vielfach noch deutliche Bezüge zum Tischlerhandwerk auf. Nach den „Konstruktionen“ K 1 – K 13 (bis 1924) spiegelt die neue Benennung als „Kompositionen“ ab K 14 (1925) die zunehmende Selbstständigkeit und Reife des künstlerischen Auftritts wider.

Dem New-Oeuvre Katalog der Schweizer Stiftung Vordemberge-Gildewart folgend, entstanden in der Zeit des Aufbruchs in Hannover insgesamt 82 Gemälde, hier erreichen Sie eine Liste aller Gemälde Vordemberge-Gildewarts mit ihren aktuellen Standorten, insofern diese bekannt sind. Sie verweist über Links auf die Webseite der Stiftung Vordemberge-Gildewart und den dort integrierten New-Oeuvre Katalog aller Werke.

Auftragsgestaltung von Möbeln und Laden- und Büroeinrichtungen für das private Umfeld, die väterliche Werkstatt (Büro Stadtbaurat Lehmann, Haus Seelig) und das eigene Atelier. 

Drucksachen, Bucheinbände, Kataloge, Schriftplakate für hannoversche Firmen und den elterlichen Betrieb, ab 1930 auch für die Kestner-Gesellschaft.

Quelle: „Osnabrück“ in der Reihe Deutschlands Städtebau des Dari-Verlags Berlin-Halensee, 2. Auflage 1928

Zwischen 1926 und 1928 entstehen mehrere Fotomontagen. 

1928 gestaltete VG die Keramikverkleidung einer Durchfahrt am Neubau des Stadtkrankenhauses seiner Heimatstadt Osnabrück. Sie wurde leider bei Umbauarbeiten in den 60er Jahren zerstört.

Stadtkrankenhaus Osnabrück, Tordurchfahrt mit keramischen Verkleidungen, 1928/1929, (B 33/1)
Quelle: Museum Industriekultur Osnabrück

Ideen/Überzeugungen

„Relief wie Malerei sind von mir ganz elementar behandelt worden, das heißt, dass aus dem Material heraus Gebilde entwickelt wurden, aus dem Gestaltungsgefühl heraus, keine Abwandlungen von Natur-Gegenständen“ (Helms 1976, S. 25) schreibt VG über seine Arbeitsjahre in Hannover.

Ähnliches gilt auch für seine Entwürfe im Bereich Typographie, Werbung und Design. „Typographische Lösungen, reduziert im Zeichenaufwand, das Gemeinte mit sparsamen Mitteln verdeutlichend, […] Leerfläche als aktives Element“ „Aufnahme von Anregungen El Lissitzkys“ (Helms: Abstrakt – Konkret – Absolut, 2017, S. 17).

Ausstellungskatalog Friedrich Vordemberge-Gildewart Typographie und Werbegestaltung, Quelle: Museum Wiesbaden 1990

Berufliche Kontakte

Mit dem Abschluss der Ausbildung an der Kunstgewerbeschule erweiterte VG seine Beziehungen in die internationale Kunstszene (z.B. 1924 durch den Besuch der Wembley Exhibition in London). Angeregt durch den Ausstellungserfolg der Gruppe K entwickelten sich persönliche Kontakte zu Kurt Schwitters und Jean Arp, sowie zu anderen gleichartig arbeitenden Künstlern und Gruppen.

Zu Beginn des Jahres 1925 ernennt van Doesburg VG vor dem Gemälde „K 9“ (Verbleib unbekannt) zum Mitglied von de stijl und lädt ihn nach Paris ein; dies bedeutet sein Entree in die internationale Kunstwelt (Adolf Loos, Léger, Kiesler, Man Ray, Tristan Tzara, Georges Antheil). Weitere illustre Künstlernamen verzeichnet VGs Gästebuch: Johannes Itten, Moholy-Nagy, Coor van Eesteren, Sigfried Giedeon, „Es ist lausig kalt dafür dankt Joachim Ringelnatz“, Michel Seuphor, Hanna Höch.

Von besonderer beruflicher Bedeutung war 1932 die Einladung und aktive Mitarbeit bei der Gründung der internationalen Künstlergruppe „abstraction – création“ in Paris. Dort nahmen auf Initiative von Georges Vantongerloo die bedeutendsten Vertreter der künstlerischen Moderne u.a. mit Theo van Doesburg, Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Naum Gabo, Auguste Herbin, Antoine Pevsner teil.

Kulturelle Beachtung

Rückblickend kann man sagen, die Ausstellung der „Gruppe K“ wird zum Ausgangspunkt für nationale und internationale Anerkennung. So ernennt der „Sturm“, Berlin, die beiden Künstler zu Mitgliedern und lädt sie zur Ausstellung (1925) ein. Eine für 1929 angebotene Ausstellung scheitert aus finanziellen Gründen.

Teilnahme an zahlreichen internationalen Ausstellungen:

1925 Große Berliner Kunstausstellung am Lehrter Bahnhof in Berlin

1925 Teilnahme an der Ausstellung „L’art d’aujourd’hui“ in Paris. Bei der Vernissage Verkauf von „Intim versilbert“ (Zeichnung mit Collage, Papier und Spitze)

1926 Société anonyme in Brooklyn und New York

1929 abstrakte und surrealistische Malerei und Plastik im Kunsthaus Zürich

1929 erste Einzelausstellung in der Galerie Povolozky, Paris

1931 4ème Salon des Indépendants in Bordeaux